Sunday, August 8, 2010

DAS GRÜNE SOFA


Lange habe ich nichts mehr geschrieben. Es fehlte die Zeit, die Ruhe. Die Gedanken waren verreist. Doch jetzt im Winter, wo alles lethargisch weiß befallen ist, eine saubere Ruhe die Stadt befallen hat, da sollte man Zeit finden, das Telefon abschalten und kreativ werden.
Seit zwei Stunden sitze ich also vor dem Bildschirm und starre ein weißes Blatt an, welches mir das Schreibprogramm automatisch vor die Nase hält. Es schreit nach Worten und Sätzen. Aber bitte mit Stil.

Ich lasse Gedanken treiben, zumindest versuche ich das. Doch sie kommen nicht weit. Prallen an den gefrorenen Fensterscheiben ab und fallen zu Boden. Der ist staubig und gehört gesaugt, aber dazu ist jetzt keine Zeit. Ich muss kreativ sein. Wie will ich sonst heute abend entspannt zu Bett gehen, wenn ich wieder nichts für meine innere Genugtuung getan habe? Also überlege ich weiter.

Ich probiere alle Tricks. Betrachte Postkarten, alte Bilder und lasse meinem Geist freien Lauf. Das funktioniert immer. Ein Foto, ein paar Gedankenwanderungen und schon ist eine Geschichte gesponnen. Etwas an den Sätzen gefeilt, hier und da mit Worten gespielt. Fertig.
Doch heute will es mir nicht gelingen. So wie gestern nicht, und die Wochen davor nicht. Bedrückt stelle ich fest, dass es nicht nur die Zeit war, die mir fehlte.
Ein Brett hat sich zwischen meine Gehirnstränge und die Finger geschoben. Es kommt nichts an. Die Tastatur bleibt unberührt. Das Blatt weiß. Nicht ein Satz. Nicht einmal einer, den man löschen könnte. Das wäre schließlich ein Anfang.

Vom langen Sitzen und Starren tut mir der Rücken weh. Meine Füße schlafen ein, weil ich zu lange im Schneidersitz auf dem Hocker sitze. Ein bißchen Bewegung wäre gut. Yoga. Natürlich. Das wird helfen. Wird die Muskeln lockern, den Rücken entspannen und den Kopf freimachen. Danach werden die Gedanken von allein wieder ihren Weg finden. Ich rolle die Matte aus, lege esoterisch dudelnde Meditationsmusik auf, entzünde Räucherstäbchen und beginne zu atmen. Langsam und tief. Zwanzig Minuten verbringe ich auf der Matte, verbiege mich in alle Richtungen und versuche die Gedanken nicht an die vorherige Gedankenlosigkeit zu verlieren.

Die Abschlussentspannung lasse ich ausfallen. Ich bin entspannt genug, koche mir eine Kanne Tee um die durch Anstrengungen auftetende Dehydration zu verhindern und fühle mich locker wie eine Marionettenpuppe. Tänzelnd begebe ich mich wieder in meine Denkerposition am Schreibtisch. Eine heiße Tasse Tee in der Hand, wild entschlossen, eine spannende Geschichte zu Papier zu bringen, schaue ich noch schnell meine emails durch. Nichts Aufregendes. Ein kurzer Blick in die Liste an Schreibwettbewerben in der Hoffnung auf inspirierende Vorschläge. Nichts. Ein Krimi, eine Weihnachtsgeschichte. Beides nicht mein Genre. Noch nicht, natürlich. Vielleicht komme ich irgendwann dazu. Aber heute nicht. Heute ist mir nach... Ja, wonach ist mir eigentlich? Ich stelle fest, dass ich nicht einmal einen Anhaltspunt habe. Keine Grundidee. Ein Gedanke, eine Richtung. Eine Kurzgeschichte, das ist klar. Oder zumindest eine kurze Geschichte. Kann auch der Anfang von etwas Längerem sein, aber eben ein Anfang. Das ist alles.

Nichts. Ich überlege in alten Aufzeichnungen zu stöbern. Schon oft habe ich dort Anfänge gefunden, die ich damals verworfen hatte und jetzt bearbeiten kann. Beleben. Ein Hauch Phantasie einsprühen.
Nein, heute will ich etwas Neues beginnen. Es gibt genug alte Geschichten, die bearbeitet oder ausgeweitet werden könnten. Doch da will mir schon lange nichts einfallen. In diese Sackgasse will ich mich heute nicht begeben.

Mir ist kalt. Der Tee bereits abgestanden und hilflos. Die Badewanne. Natürlich! In der Badewanne kommen mir immer Ideen, da hat man Zeit, wird nicht abgelenkt. Außerdem soll man nach dem Yoga baden. Steht überall geschrieben, ist gut für die Muskeln. Ein Entspannungsbad.
Ich lasse Wasser ein und putze nebenher das Bad ein wenig. Sauberkeit muss sein, ich muss mich wohlfühlen. Die totale Entspannung. Nur dann können die Gedanken fließen.
Das Wasser ist heiß und mein Körper braucht eine Weile, sich an die Temperatur zu gewöhnen. Dann wird mir warm, so warm, dass mir die Luft zum Atmen fehlt. Ich drehe etwas kaltes Wasser auf und hänge die Füße über den Wannenrand hinaus. Wenig später hat sich das Wasser so weit abgekühlt, dass es allmählich kalt wird. Mir fällt ein, dass ich noch in den Supermarkt muss, bevor der die Türen schließt. Am Abend kommt Besuch.
Ich beeilie mich aus der Wanne zu steigen, vergesse, dass ich vergessen habe, mich zu entspannen und ziehe mich an.

Vielleicht begegnet mir auf dem Weg zum Supermarkt eine Geschichte. Die Ideen liegen schließlich auf der Straße. Wann immer ich eine gute Geschichte lese, denke ich „natürlich, so einfach, hätte mir doch auch einfallen sollen“. Ist sie aber nicht.
Ich hoffe weiter. Auf eine skurrile Begegnung, auf ein interessantes Gespräch zwischen Fremden, ein Plakat mit bunten Bildern. Nichts.

Als ich mit Einkaufstaschen beladen die Treppen hinaufkeuche, rechtfertige ich meinen Tag. Ich habe entspannt, etwas Yoga gemacht, gebadet. Ein Tag der Muße, kann man sagen. Das ist wichtig. Und die Ideen, die werden wieder kommen. Morgen. In der U Bahn oder anderswo. Den Computer schalte ich ab, das Schreibprogramm fragt mich, ob ich meine drei Leerzeichen speichern möchte. Mit einem Ziehen im Magen sage ich nein. Nicht einmal ein Gedanken, den es zu speichern gibt. Mein Notizbuch liegt unberührt daneben und lacht mich aus.

Ich bereite das Abendessen vor und verliere mich immer wieder in der Frustration über die heutige Unfähigkeit des Schreibens. Ich frage mich, ob das die allgemein bekannte Schreibblockade ist. Bilder von einsamen Autoren in Lokalen mit Zigaretten im Mundwinkel und einer Flasche Wein als Gesprächspartner fallen mir ein. Aber ich bin ja noch nicht einmal Autor. Nicht offiziell.

Endlich klingelt es und meine Freunde sind da, um mich abzulenken. Sie fragen nach meinem Tag und ich berichte schwärmend von Entspannung und Gemütlichkeit. Schlucke die Unzufriedenheit mit einem Stück Weißbrot hinunter. Der Rotwein schmeckt und der Abend nimmt seinen Lauf.

Irgendwann kommt die Polaroidkamera auf den Tisch, wir verschießen zu viele Fotos und meine Freunde holen ihre Schnappschüsse der letzten Tage hervor. Während sie sich weiter in unmöglichen Positionen und Grimassen fotografieren, fällt mir eines der Fotos in die Hand. Ich trinke einen weiteren Schluck Rotwein und, wie es scheint, atme dabei den Hauch einer Idee ein. Schnell fülle ich das Glas nach, während meine Gedanken laufen, fast sprinten. Innerhalb weniger Minuten habe ich eine, wir mir scheint, grandiose Geschichte erfunden.
Meine Freunden öffnen eine neue Flasche Rotwein und ich hoffe, mich morgen noch an die Geschichte erinnern zu können.

polaroid von polaboid

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