Wednesday, August 11, 2010

HAUSNUMMER 28 - ein auszug


Als sie in das Haus zurückkehrten, roch es nach verbranntem Metall. Schweißbrenner. Ein Geruch, der nicht zu der nervraubenden Stille passte. Der nach Lärm und Funkensprühen schrie. Nach dem Gefühl, dass sie alle in sich trugen. Doch nach außen waren alle sehr ruhig, wußten nicht, was sie erwarten sollten und waren froh über den fremden Geruch. Das Zeichen, dass etwas anders war. Etwas geschehen war.
Herr Schramm war der einzige, der am Briefkasten stehenblieb und nach der Post schaute. Herr Koller und der, den sie alle nur Eldo nannten, taten es ihm nach. Stumm zogen sie Briefe und Zeitschriften aus den blechernen Kästen und schauten hastig alles durch auf der Suche nach einer Nachricht, einem Brief. Einer Erklärung.
“Irgendwas Wichtiges dabei?” rief Rainer Mattes.
Herr Schramm, Herr Koller und Eldo schüttelten nacheinander die Köpfe.
“Nichts.” sagte Herr Schramm.
“Nichts.” bestätigte Eldo.
“Aber vielleicht steht was in der Zeitung. Da muss doch was stehen. Irgendwer muss doch was wissen.” ergänzte Herr Schramm eilig in die Runde betretener Gesichter. Einige nickten stumm.
“Oder wisst Ihr etwa was? Haben die wirklich keinem was gesagt?”
Kopfschütteln. Langes, stummes Kopfschütteln.

Frau Mattes war in der Zwischenzeit eilig die Treppe hinauf gelaufen und versuchte nun mit zitternden Händen den Schlüssel in das Schloss zu schieben. Als die Tür aufsprang lief sie in die Küche und blieb erleichtert vor dem ausgeschalteten Herd stehen. Es wäre ja eh alles bereits in die Luft geflogen, dachte sie sich. Drei Tage kann ein Herd nicht angeschalten sein, ohne großen Schaden anzurichten. Sie stützte sich auf die Spüle und atmete tief. Alle Anspannung schien aus ihrem Gesicht zu fallen. Sie wurde blass und Schweiß trat ihr auf die Stirn. Noch immer zitternd, jetzt etwas mehr als vorher, öffnete sie die Schranktür und nahm ein großes Bierglas heraus. Eines mit Henkel, damit es ihr nicht aus der schwitzigen Hand glitt. Sie hielt es unter den tropfenden Wasserhahn und ließ es gierig randvoll laufen. Gerade als sie es ansetzen und davon trinken wollte kam ihr Mann Rainer in die Küche gelaufen und rief “Nicht!”. Sie hielt inne. Schaute ihn erschrocken an.
“Das Wasser steht doch seit Tagen in der Leitung. Da ist doch voller Bakterien. Da holst Du Dir noch was weg. Komm her, kipp das weg.” Er nahm ihr das Glas aus der Hand und kippte das Wasser in die Spüle, dann drehte er den Hahn auf und ließ das frische Wasser eine zeitlang in die leere Spüle laufen. Frau Mattes schaute dem Wasser hinterher, wie es einen Kreis zog in der Spüle und dann durch den Abfluss wegrann. Der Abfluss, dachte sie, der geht wieder. Den haben wir neulich noch frei gemacht. Neulich. Vor dem, was da war.
“So, Jetzt sollt es gehen.” sagte Herr Mattes, füllte das Glas und reichte es seiner Frau. Sie schaute noch immer in die Spüle.
“Marianne!” rief er. “Dein Wasser!”
Sie zuckte zusammen und schaute ihn an, dann das Glas, nahm es und trank in großen Schlucken daraus. “Der Herd war doch aus.” sagte sie plötzlich.
„Was?“ fragte er mit gerunzelter Stirn.
“Du hattest recht. Den muss ich noch ausgemacht haben. Komisch, dass ich das immer vergesse.” Sie schaute ihn nicht an dabei.
“Hab ich Dir doch gesagt. Den machst Du doch immer aus. Das hast Du noch nie vergessen und immer wieder fragst Du Dich.” Er nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank.
“Aber das ging doch alles so schnell.” Frau Mattes schaute noch immer in die leere Spüle und schüttelte den Kopf. “Vielleicht ham die den Herd auch ausgemacht.”
Herr Mattes nahm ein Schluck Bier und sagte “Wer die. Wer sagt denn, dass hier wer in der Wohnung war?” Erschrocken schaute er sich um. Suchte nach Anzeichen dafür, dass Fremde im Raum waren. Dass etwas anders war. Er roch in die Luft.
“Na die halt. Die da plötzlich gekommen sind. Neulich.” Jetz schaute sich auch Frau Mattes um, stellte ihr Glas auf den Küchentisch und schritt weiter durch die Wohnung.

Eldo rannte aufgeregt von Zimmer zu Zimmer. Er öffnete alle Fenster und zog im Schlafzimmer die Wäsche von den Bettdecken. Gemeinsam mit den Handtüchern im Bad stopfte er alles in die Waschmaschine und drehte sie auf fünfundneunzig Grad. Eilig wusch er sich die Hände und ging zurück in die Küche. Im Kühlschrank nahm er alle Lebensmittel, deren Verpackung bereits geöffnet war, und warf sie in einen großen Plastiksack.
“Was tust Du da?” fragte Yohann, der bisher nur stumm auf dem Sofa gesessen und vor sich hingestarrt hatte.
“Ich will das nicht länger behalten. Ich weiß nicht was hier passiert ist, ob hier jemand war. Außerdem lag das jetzt tagelang hier rum. Das muss weg.”
Yohann nickte nur und ging zurück ins Wohnzimmer, setzte sich wieder auf das Sofa und starrte weiter vor sich hin. Er kratzte sich am Kopf, und an den Schultern. Bis hinunter zu den Oberarmen. Das tat er schon die ganze Zeit. Seitdem sie zurückgekommen waren.
Er zog sein Tabakpäckchen aus der Hosentasche und zog ein Blatt Papier aus der krümeligen Schachtel. Die Zigarette, die in schneller Fingerfertigkeit entstand, war sehr dünn und sah zwischen seinen langen Fingern aus wie ein kleiner Zahnstocher. Er steckte sie sich in den Mund und ließ aus dem roten Feuerzeug eine Flamme in die Luft schnellen. Ein tiefer Atemzug. Kurzes Innehalten und langes, genüssliches Ausatmen. Doch trotz dem leichten Knistern von Tabakkrümeln, dem sanften Aufsteigen des Rauches, der tiefen Inhalierung des Nikotin konnte er sich nicht entspannen. Eldo rannte wie ein aufgescheuchtes Waldreh durch die Wohnung und er wusste nicht, ob er sich um ihn, oder um die Wohnung Sorgen machen sollte. Er fühlte, dass er frische Luft brauchte, doch er hatte Angst, Eldo in der Wohnung, oder die Wohnung mit Eldo alleinzulassen. Er stellte sich ans geöffnete Fenster und schaute in den Hof. In fast allen Wohnungen waren die Fenster geöffnet. Aber man hörte nichts. Überall war es still. Kein Fernseher lief. Keine laute Musik. Nirgends klingelte ein Telefon. Nur irgendwo, unten, da schien jemand. Da hörte man ein Husten. Immer wieder. Räuspern, dann Husten. Yohann nahm den Kopf zurück. Er wollte niemanden hören, niemanden sehen. Vor allem wollte er nicht gesehen werden.
„Ich bring das nur schnell weg!“. Eldo stand mit drei gefüllten Müllbeuteln in der Tür zum Wohnzimmer und tat, als würde er jeden Dienstag die Wohnung halb leerräumen. Yohann blickte nicht auf.
Die Wohnungstür fiel ins Schloss und Eldo hastete die Stufen hinunter. Seine Schritte waren immer eilig, doch heute schienen sie ihn überholen zu wollen und er stoppte, als er merkte, dass er seine Füße nicht mehr selbst kontrollieren konnte. Dann lief er weiter, öffnete die Tür zum Müllraum und warf alle drei Müllsäcke schwungvoll in den Restmüllcontainer. Im Hof blieb er einen Moment stehen, schaute nach oben und bemerkte die Stille. Etwas war anders. Er fühlte sich unheimlich und hoffte, dass die Normalität bald wieder Einzug halten würde.
Im Eingangsbereich bei den Briefkästen erkannte er Herrn Schramm. Er trug noch immer Mantel und Schal und betrachtete die Decke. Er hatte einen kleinen Schraubendreher dabei und stach ihn hier und da in die Wände, in die Decke. Kleine Putzstückchen lagen am Boden. Farbe blätterte von den Wänden.
„Herr Schramm, was machen Sie denn da?“ fragte Elde erstaunt, gleichzeitig besorgt.
„Untersuchen. Das muss alles untersucht werden.“ sagte Herr Schramm leise vor sich hin. Er blickte Eldo dabei nicht an sondern weiter angespannt an die Decke. Dann dem bröckelnden Putz hinterher zu Boden. Er räusperte sich, hustete.
„Aber Sie wissen doch gar nicht wonach Sie suchen sollen. Das bringt doch nichts.“ versuchte Eldo ihn von seinen Taten abzubringen.
„Untersuchen. Das muss alles untersucht werden.“ wiederholte Herr Schramm. Schaute immernoch nicht auf den zierlichen kleinen Mann hinter ihm.
Eldo schüttelte den Kopf, beobachtete Herrn Schramm noch eine Weile, hörte ihn noch einige Male das Wort „Untersuchen“ sagen und ging dann nach zurück in die Wohnung. Yohann hatte sich im Bad eingeschlossen. Das tat er immer, wenn er sich in die Badewanne legte. Eldo ging ins Wohnzimmer und schaute sich um. Es herrschte Ordnung und Sauberkeit in einem Maße, das er den Umständen entsprechend akzeptieren konnte. Er fühlte sich noch immer nicht wohl, nicht heimisch. Aber es gab im Moment nichts weiter, das er tun konnte und glitt vorsichtig aufs Sofa. Zum ersten Mal spürte auch er eine Art Erschöpfung, eine Welle an Müdigkeit und legte sich für einen Moment aufs Sofa.
Zwei Stunden später erwachte er. Draußen war es bereits dunkel. Ein kühler Wind wehte durch die Wohnung.

polaroid by bastiank

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